Hintergrund oder: Krise kann auch geil sein
I) Recherche, Miniaturen & Regeln
Disclaimer: Was ich hier beschreibe, ist mein Weg zu einer historischen Wargaming-Armee. Kein Goldstandard, keine Pflicht, vielleicht nicht mal ein besonders guter Weg. Ich habe natürlich eine Meinung, was „richtig“ ist, zwinge sie aber niemandem auf und will das auch nicht so verstanden wissen.
Das 3. Jahrhundert hat einen schlechten Ruf. Es gibt sogar einen eigenen, viel zu umfangreichen
Wikipedia-Artikel zur tiefen Krise, in der die Römer damals steckten. Vielleicht kein Wunder, dass die Zeit kein allzu beliebtes Hobbythema ist. Dabei beschert gerade der – angebliche oder doch tatsächliche – Verfall dem Wargamer einen bunten Strauß an Gegnern und historisch inspirierten Gefechten, vom Grenzgeplänkel bis zur Bürgerkriegsschlacht.
Wie fängt man an?
Am besten mit ein paar Büchern. Ich weiß, i-bäh und buh! Deshalb, man kann auch einfach erstmal die Bilder anschauen. Hier eine nicht repräsentative Auswahl in vier Eskalationsstufen.
Die Osprey-Hefte ganz links kennt wahrscheinlich jeder. Leichter Einstieg, viele bunte Bilder, nicht immer ganz zuverlässig. Inzwischen gibt es auch deutschsprachige Äquivalente (2. v. l.). Engagierte Laien lesen darin neuere Literatur aus, was als Zusammenfassung praktisch und inhaltlich sehr solide ist. Will man sich aber selbst eine Meinung bilden, kommt man ums Anschauen von Originalmaterial, also Texten wie Bildern, nicht herum. Und das bieten dann Sammlungen wie die von Graham Sumner (2. v. r.), der als Illustrator auch für Museen arbeitet (und seine Recherchen bei Osprey gleich selbst zweiterverwertet). Ein letzter und, ich finde, sehr lohnender Schritt kann dann das Spicken bei den Geschichtsdarstellern bzw. Experimentalarchäologen sein. Marcus Junkelmann ist gewissermaßen der Pate der deutschen Szene und zugleich ernsthaft Wissenschaftler. Seine Bücher kann man trotzdem (?) gut lesen und nicht zuletzt die Fotos darin bestaunen.
Wer sich nicht scheut, kann natürlich auch mit archäologischer und althistorischer Fachliteratur eins draufsetzen. Hier geht’s aber um Inspirationsquellen, und die müssen für mich vorzugsweise bunte Bilder enthalten.
Alternativen?
Gibt’s fürs 3. Jahrhundert nur wenige. Filme, Serien oder Videogames vernachlässigen die Zeit sträflich.
„Gladiator“ ist zeitlich (und irgendwie auch atmosphärisch) nah dran. Nicht mehr taufrisch ist die direkte Vorlage,
„Der Untergang des Römischen Reiches“; dafür mit vielen Requisiten nach Fundstücken aus dem 3. Jahrhundert. Wer auch gerne Dokus schaut, kommt mit dem Suchbegriff
„Harzhorn“ weiter. Das ist - wahrscheinlich - der Ort eines Gefechts zwischen Römern und Germanen im 3. Jahrhundert, der noch immer archäologisch erschlossen wird.
Die beste Aufarbeitung ist leider kostenpflichtig, aber dank der Beteiligung passender Reenactors echt sehenswert.
Was ist so besonders an der Zeit?
Neben dem farbigen Hintergrund, in dem die römische Armee eben nicht länger jeden Widerstand überrollt, fasziniert mich besonders der Look dieser Zeit. Die Ausrüstung der Soldaten ist nicht mehr die, die man von der
Trajanssäule (oder die davon abgeschaute Darstellung bei Asterix) kennt. Aber auch noch nicht so spätrömisch, wie sie z. B. das Wargaming um den „realen“ König Artus populär gemacht hat. Damit man sich das besser vorstellen kann, hier mal im ganz großen Vergleich, von den Kriegen gegen Karthago über die Caesars in Gallien und sonstwo bis ins 2., 3. und schließlich 4. Jahrhundert.
Wie jede Übergangsphase ist das 3. Jahrhundert vor allem bunt, das heißt voller Neuentwicklungen und Irrwege. Eine Armee dieser Zeit sieht deshalb für viele „ungewohnt“ aus. Und genau das mag ich.
Was ist die Herausforderung?
Die Auswahl an Miniaturen ist eher klein und bisher nur für Zinnfans fein. Vorreiter in 28mm war
Armorum & Aquila. Deren Sculptor hat später
Aventine mitgegründet und knetet dort fast noch schönere Minis, wenn auch zeitlich leicht früher angesiedelt. Beide Reihen sind kompatibel, gerade Aventine bietet makellose Güsse und grandiosen Detailgrad. Aber, schon klar, Plastik gewinnt. Deshalb habe ich mich sehr (SEHR!) über das erste Römerset von
Wargames Atlantic gefreut. Denn die Grundmodelle sind eben fast ausschließlich für die Zeit
vor dem auf der Box aufgedruckten Startdatum 284 n. Chr. geeignet. Leider scheint die Firma diesen „Fehler“ nicht weiterzuverfolgen. Stattdessen setzen sie ganz auf das Thema Spätantike – und werden auf die dahin deutlich besser passenden
neuen Sets von Victrix treffen.
Weil das erste Set also nicht sonderlich gut durchdacht war, will hier ganz auf seine Stärken spielen und sie mit zusätzlichen Details unterstreichen. (Zumal die Optionen im Gussrahmen etwas mau sind.) Und wenn ich schon mit Plastik anfange, werden verschiedene andere Hersteller so lange gemischt, bis das herauskommt, was
Wargames Atlantic nicht auf die Kette bekommt: eine ganze Römertruppe des 3. Jahrhunderts aus Plastik.
Gibt es spezielle Regelwerke?
Für Spiele mit 10+ Einheiten durchaus (z. B. Sam Mustafas
Aurelian). Platz, Zeit und Geld und vor allem meine Aufmerksamkeitsspanne machen mir da aber einen Strich durch die Rechnung. Folglich müssen kleinere Gefechte her – und da gibt es kaum Passendes.
SAGA ist tatsächlich mehr Zwischenlösung und vor allem Starthilfe. Das spätantike Setting ist den Regeln ohnehin eher aufgepfropft. Und die Römerliste bildet nur sehr bedingt ab, was die Armee ein- oder zweihundert Jahre früher ausmacht. (Wer's genauer wissen will, kann
direkt hier im Thread weiterlesen.) Aber sie liefert ein Ziel, das sogar ich packen könnte. Außerdem ist
SAGA so weit verbreitet, dass ich vielleicht einen Spielpartner gewinnen kann. Beides würde mich motivieren weiterzumachen. Ob ich dann aber bei
SAGA bleibe oder die Regeln wechsle, steht auf einem andern Blatt. Ganz vielleicht geht bis dahin schon „Ära der Cäsaren“ ins Rennen, und das würde ich mir freilich auch anschauen!
Und weiter?
Ich will hier nicht nur meine Begeisterung vermitteln, sondern sie mit euch teilen. Über Fragen, Ergänzungen und sonstige Anmerkungen freue ich mich deshalb ganz besonders! ?
II) Darstellungsziele
Krisengeschüttelt ist das Römische Reich des 3. Jahrhunderts vor allem aus
zwei Gründen: Zum einen formieren sich fast gleichzeitig an allen Grenzen
neue und gefährliche Gegner. Ob die Franken und Alamannen am Rhein, die Goten am Schwarzen Meer, die Blemmyer in Ägypten oder die Sasaniden im Mittleren Osten – jeder dieser Feinde wäre für sich schon Herausforderung genug. Weil es aber seit rund 200 Jahren nur einen starken Mann im römischen Staat gibt, nämlich den Kaiser, kann der nicht überall sein. Deshalb kommt man in Gegenden, die besonders stark unter Druck stehen, schnell auf die Idee, eigene Kaiser nachzunominieren. Und das führt zum zweiten Krisenmoment: Wer der einzig Wahre ist, wird leider selten im ehrenhaften Duell, sondern meist per
Bürgerkrieg entschieden. Um Kriege zu gewinnen, braucht man Soldaten, und viele Kaiser stützen sich daher allein auf die Armee, nicht wenige haben selbst eine Karriere beim Militär absolviert.
Soldatenkaiser
Der erste dieser "Soldatenkaiser" ist
Maximinus, genannt "der Thraker" (
Thrax). So hat er sich porträtieren lassen:
Links nur eine Spielerei, weil die meisten Bildnisse der Antike auch kitschig bemalt waren
Maximinus Thrax kommt – darin vorbildhaft für die meisten Kaiser der nächsten 50 Jahre – nach einem tödlichen Anschlag auf seinen Vorgänger ins Amt. Seine erste Amtshandlung ist ein Kriegszug ins tiefste Germanien. Sehr wahrscheinlich Spuren dieses Vorstoßes hat man
2008 in Niedersachsen gefunden. Im Anschluss verschwindet Maximinus so lange auf Barbarenjagd an der unteren Donau, dass man im weit entfernten Italien und Nordafrika kurzerhand neue Kaiser benennt. Davon dann doch aus der Wildnis zurückgelockt, wird Maximinus, wohl von kriegsmüden Gefährten, ermordet. (Was übrigens Ausgangspunkt für die
hier vorgestellte Romanreihe ist.)
In ähnlicher Weise geht es überall im Imperium Romanum munter weiter. Und genau auf diesem unbestimmten, aber immer gleichen Hintergrund will ich meine kleine Truppe ansiedeln. Einen
regional bias habe ich natürlich für Germanien, weil ich in direkter Nachbarschaft zum Limes aufgewachsen bin. Allerdings waren Soldaten der Zeit nicht sonderlich ortsfest, wie sich angesichts der vielen Kriege denken lässt. Deshalb fühlen sich meine Jungs am Euphrat ebenso zuhause wie in britischem Regen oder ägyptischem Sand. Alles ist möglich.
Die römische Armee
Genauso beliebig ist – auf den ersten Blick –, was genau die Truppe eigentlich darstellt. In einem Warhammer-Forum hat jeder schon mal von Legionen gehört. So sieht eine davon in der Römerzeit aus:
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Natürlich ist das – wie alles Folgende – eine Idealdarstellung und grobe Vereinfachung. Ob die Legionen jemals so fein säuberlich organisiert waren oder ihre Sollstärke erreichten, ist mehr als fraglich. Taktisch operieren die Legionen im 3. Jahrhundert längst auf (oder unter) der Ebene der sogenannten Kohorten:
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Die Kohorte ist zugleich das Standardformat der regulären Hilfstruppen. (Daneben gibt es noch Reiter- und irreguläre Einheiten, die wir hier außen vor lassen, ums überschaubar zu halten.) Die Unterschiede zwischen Legionen und Hilfstruppen (
auxilia) aber verwischen im 3. Jahrhundert sowieso. Zum einen spricht die Ausrüstung dafür, dass alle regulären Soldaten grundsätzlich zwischen offener und geschlossener Formation wechseln können. Zum anderen scheint es Spezialeinheiten oder Abteilungen zu geben, die z. B. als Leichtbewaffnete (
lanciarii), Bogenschützen (
sagittarii) o. ä. kämpfen.
Umsetzung im Spiel
Die kleinste "Einheit", das
contubernium, wirkt wie etwas zwischen modernem Trupp/Team und Gruppe/Squad. Ob es wirklich eine Kampfeinheit darstellte, ist aber völlig offen. Auch wenn die Analogie also naheliegt, will ich erst gar nicht behaupten, dass meine Truppe für SAGA irgendwelche Realitäten abbildet.
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Ich habe zwar spaßeshalber Namen vergeben (und deren Vorbilder eingetragen). Doch ich halte bewusst offen, was die einzelnen Einheiten bzw. Truppentypen
genau darstellen. Zumal die Liste der Spätrömer die Auswahl begrenzt, z. B. reguläre Reiterei gar nicht abbildet. Die Idee ist, die bewaffnete Entourage eines höheren Offiziers samt der kurzfristig von ihm zusammengezogenen Truppen darzustellen. Das Bild wird sich hoffentlich in Phase II klären. Sofern ich soweit komme ?